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Auf ein Wort, Frau Oberbürgermeisterin!

Nachhaltigkeit ist uns nicht nur bei onion bzw. der regio iT ein großes Anliegen – auch die Stadt Aachen mit Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen hat das Thema fest im Blick. Als Modellstadt strebt Aachen beispielsweise danach, bis 2030 klimaneutral zu werden. Ein gemeinsames Ziel vor Augen, freuen wir uns sehr, dass Frau Keupen sich die Zeit für ein ausführliches Interview mit uns genommen hat.

Jasmin Kruppa: Bei ONION laden wir gerne Begriffe mit Bedeutung auf, die – weil sie in aller Munde sind – oft unscharf oder aufgeblasen wirken, eher Buzzword sind statt bedeutsamen Wortes. Nachhaltigkeit gehört dazu.  Ein sehr umfassender Begriff. Was verstehen Sie persönlich darunter?

Sibylle Keupen: Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der sehr in Mode gekommen ist und als Etikett auf viele Projekte, Produkte oder auch auf politische Strategien gesetzt wird, um deutlich zu machen es geht um die Zukunft. Es geht um Transformation, es geht um Klimaschutz. Es ist wichtig, dies im Blick zu haben. Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen geht es am Ende immer um die Frage, wie wir die Ressourcen nutzen, die begrenzt zur Verfügung stehen. Wir wissen, dass diese endlich sind und dass wir sie als unsere Existenzgrundlage bewahren müssen. Das bedeutet, verantwortungsvoll und zukunftsgerichtet mit ihnen umzugehen. Im besten Falle verwenden wir Ressourcen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft wieder und führen sie einem neuen Nutzen zu. Das ist klimagerecht ist und nachhaltig.

Jasmin Kruppa: Wie beurteilen Sie die Rolle der Bürgerbeteiligung und der Zusammenarbeit mit anderen Städten und Organisationen bei der Schaffung einer zukunftsfähigen Stadt? Ein bisschen haben Sie dies bereits angeschnitten im Zuge der Weiterentwicklung der Innenstadt.

Sibylle Keupen: Genau dies tun wir im Innenstadt-Morgen-Prozess, den wir gemeinsam mit Bürger*innen entwickeln. Die Zeit der Masterpläne ist vorbei. Also wir machen eine Untersuchung, schauen uns alles an, bewerten das, werten es aus, machen vielleicht eine Befragung und dann gibt es einen Masterplan, dieser wird politisch beschlossen und dann wird 10-20 Jahre daraufhin gearbeitet. Das hat Maastricht so gemacht, erfolgreich. Jetzt ist nicht mehr die Zeit, um ein solches Vorgehen zu wiederholen.

Die vielfältigen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, sind für uns neu. So neu, dass wir sie nicht in einem Masterplan abbilden können. In den letzten 2,5 Jahren hatten wir Corona, das Hochwasser, den Ukrainekrieg, die Energiekrise. Das alles sind Themen, die man vor 3 Jahren noch nicht auf der Agenda hatte. Wir haben sie aber inzwischen schon gelöst, zumindest die Energiekrise. Ich finde es wird zu wenig in der Öffentlichkeit diskutiert, dass wir es geschafft haben, den Winter sozialgerecht mit allen Hürden zu bewältigen. Wir feiern unsere Erfolge zu wenig. Oft schauen wir auf die Schattenseite und nicht auf die Sonnenseite des Lebens. Oder wir verfallen wieder schnell in den Negativblick. Wir müssen lösungsorientiert sein und zukunftsorientiert arbeiten. Und wir brauchen alle Bürger und Bürgerinnen.

In allen Prozessen der Transformation ist die Bürgerbeteiligung ein wichtiges konstitutives Instrument. Wir richten in Aachen den ersten ständigen Bürger*innenrat Deutschlands ein. 3.000 ausgewählte Bürger*innen sind bereits angeschrieben und Themen aus der Bürgerschaft formuliert worden, die in Aachen umsetzungsorientiert sind. Bald wird der Bürger*innenrat, der die Breite der Bürgerschaft widerspiegelt, jeweils über ein Thema lösungsorientiert diskutieren und dem Rat der Stadt dazu eine Empfehlung geben. Der Bürger*innenrat ist konsultatives Beratungsgremium, eng an den Rat angebunden. Er hat eine hohe Bedeutung. Alle angesprochenen Themen münden in konkrete Vorschläge, die kommunal entschieden und begleitet werden können. Das ist großartig.

Es ist auf Initiative eines Bürgervereins und mit der Unterstützung der Politik in Aachen gelungen, mehr demokratische Teilhabe aus der Bürgerschaft zu erreichen. Es braucht Menschen, die Teil der Lösung sein wollen und sich einbringen. Das ist so viel mehr als nur alle vier Jahre wählen zu gehen. Dazu ist es wichtig, dass in dem Bürgerrat die Gesellschaft auch wirklich repräsentiert ist. Die Auswahl ist ziemlich komplex. Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, wie wir sicherstellen, dass die Innenstadt, die Alters -und Geschlechtergerechtigkeit, die Bildungsabschlüsse, d.h. die gesamte Breite der Aachener Gesellschaft adäquat abgebildet wird. Das bedeutet, dass wir nah dran sind, was Bürger und Bürgerinnen wollen, welche Ideen sie haben, welche Herangehensweisen und Lösungsideen.

Nicht ein Kreis von Wissenschaftler*innen oder Politiker*innen oder ein Kreis von Wirtschaftsverantwortlichen alleine weiß, wie wir Zukunft gestalten, sondern wir alle gemeinsam lösen Probleme. Der Bürger*innenrat ist dazu eine großartige Plattform.

Die erste Frage ist, wie wir die Innenstadt als Einkaufsziel attraktiver gestalten können. In den Köpfen der Menschen steckt – und damit sind wir aufgewachsen – dass die Innenstadt gleich Einkaufsstadt ist. So wurde damals die Stadt auch gebaut. Die Innenstädte haben sich verändert.

Auf dem Katschhof wurde gerade der Archimedische Sandkasten innerhalb eines halben Tages aufgebaut. So schnell kann das gehen. Gut, es sind 150.000 Tonnen Sand, das ist schon eine Menge, aber wenn man das nochmal in den Kontext setzt, dann ist es so einfach. Und dieser Sandkasten gibt so viel Impuls für die Innenstadt im Sinne von Familienfreundlichkeit, Aufenthaltsqualität, gute Stimmung, Intervention im öffentlichen Raum.

Wir müssen den öffentlichen Raum verändern, dem Menschen zurückgeben, damit er wieder diese Aufenthaltsqualität hat wie dieser Sandkasten. Wir schaffen an mehreren Stellen in der Stadt eine große Impulswirkung, z. B. mit der Aufstellung von Wanderbäumen, mit dem Sandkasten, mit Innenstadtspielplätzen, die jetzt saniert werden, dem Lindenplatz als Spielplatz. Den Kaulbach können wir offenlegen. Der Theaterplatz wird als Platz wieder gestaltet. Diese öffentlichen Plätze und Räume brauchen wir, um die Menschen zusammenzubringen, damit sie miteinander ins Gespräch kommen.

Jasmin Kruppa: Ja, das stimmt, so kommt man viel näher an die Menschen ran. Das ist ja auch das, was wir mit unserer Community bei onion erreichen wollen. Ich finde es total spannend und ich glaube auch, dass beispielsweise in diesem Bürgerrat sehr viel Potenzial steckt.

Sibylle Keupen: Auf jeden Fall. Demokratie tut sich im Moment schwer, weil zu wenige Menschen öffentlich debattieren und viele andere sich nicht gehört und gesehen fühlen. Die Innenstadt ist ein Raum dafür. Ein Markplatz war in römischen Zeiten der Diskursort, der Handelsort, der Feierort. Wir müssen wieder dahin zurück, dass das Leben in der Stadt stattfindet.

Jasmin Kruppa: Ja, ganz wichtig. Okay, dann würde ich nun auf unseren onion innovation circle eingehen. Und zwar haben wir unseren Fokus aktuell auf die Themen Klimakrise, Mobilitätswende und Energie im gelegt. Gibt es hier etwas, wo Sie sagen: Da fehlt aber ein ganz entscheidender Themenschwerpunkt?

Sibylle Keupen: Das sind ja die Buzzwords, die auch in der Debatte geführt werden und das sind auch die Themen, die wir behandeln müssen. Für mich ist das ist eine Haltungsfrage. Wie schaffen wir diese Transformation, wie schaffen wir die Mobilitäts-, Klima- und Energiewende? Allen ist klar, dass wir uns ändern müssen und dass eine Transformation stattfinden muss, dass der Klimawandel zu weit fortgeschritten ist, dass wir keine Zeit mehr haben etc. Wir brauchen ein Commitment dahin, dass Veränderung eben nicht die Fortsetzung dessen ist, was wir haben mit anderen Methoden, sondern es ist eine Frage der Grundhaltung. Thema Nachhaltigkeit: Wie gehen wir mit Ressourcen bewusst um und verpflichten uns, die Idee der Nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu leben und möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen und sie im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu nutzen? Daneben ist die soziale Gerechtigkeit zu beachten. Das ist die Herausforderung, die wir haben und die sich in der politischen Debatte auch abbildet. Da ist noch ganz viel zu tun.

Wir müssen nicht mehr erklären, dass der Klimawandel Fakt ist und dass wir was ändern müssen. Aber über das Wie und Was unser persönlicher Anteil daran ist müssen wir reden. Es geht darum, etwas zurückzugeben und das bedeutet auch, ich nehme weniger in Anspruch und das ist ein großer Perspektivwechsel. Es ist eine Werte- und Haltungsfrage und darüber sollten wir sprechen.

Wir müssen das große Ganze sehen. Was kann jeder Einzelne tun? Ich bin in meiner Rolle sehr privilegiert und kann beispielsweise einfach auf Elektromobilität umsteigen und kann meine Zeit auch in meinem Amt steuern. Andere Menschen können das gar nicht. Wenn das Gehalt nicht zum Leben reicht und ich als Familie zu zweit arbeiten muss, dann ist die Ressource Zeit wenig verfügbar.

Jasmin Kruppa: Wenn wir uns nochmal konkret die Community des Innovationsmanagements anschauen. Das sind ja Städte und Kommunen etc., die zusammenkommen und sich zusammen diesen Themen stellen. Was denken Sie, wo onion unterstützen und anpacken kann beim Thema Resilienz?

Sibylle Keupen: Es ist wichtig, auf allen Ebenen Plattformen und Räume zu schaffen, wo Menschen sich austauschen. Die regio iT als kommunaler IT-Dienstleister ist ein wichtiger Partner, um die kommunale Familie zu begleiten. Viele Lösungen liegen im Digitalen, in der effizienteren Abbildung von Prozessen.

In der kommunalen Familie gibt es viele Freundschaften. Wir haben die gleichen Themen, Ziele und Verantwortlichkeiten für unsere Kommunen und deshalb gibt es parteiübergreifend ein sehr starkes, tragfähiges Band. Uns eint der gemeinsame Wille für die Stadt das Beste zu tun.

Jasmin Kruppa: Zum Schluss kommt eine schnelle Runde mit Satzergänzungen:

Die Stadt der Zukunft ist… nachhaltig, resilient, enkeltauglich und gemeinwohlorientiert.

Eine Stadt wird bunt und lebenswert durch… die vielen Menschen, die sich mit ihren Ideen einbringen.

Eine funktionierende Stadtgesellschaft macht aus, dass sie… vielfältig, bunt, lebensfroh und mutig ist.

Damit die digitale Transformation unserer Städte und Gemeinden nachhaltig wird, brauchen wir… mehr Schnelligkeit, Ressourcen und Mut die Dinge anzupacken.

Besonders spannende Projekte und Startups sind aktuell… das Haus der Neugierde, das bedeutet ein Haus der Bürger*innenschaft als Ort des Diskurses, des Austauschens und der Intervention in der Innenstadt. Bei den Startups bin ich ein totaler Fan unseres Batterieclusters. Vom Recycling bis hin zur intelligenten Steuerung gibt es spannende Unternehmungen und Entwicklungen. Das Speichern von Energie ist eine zentrale Frage neben der Produktion.

Resilienz bedeutet aus Ihrer Sicht…, dass wir Aachen stark machen für die Zukunft. Stark heißt bürgerschaftlich getragen in der Vernetzung aller Ressourcen, die wir in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft haben.

Jasmin Kruppa: Vielen lieben Dank für Ihre Zeit!

Foto: Carl Brunn